Der Mietendeckel geplatzt, besetzte Häuser werden geräumt und immer weniger Wohnraum. Werden wir langsam zu viele? Oder müssen wir die Art, wie wir wohnen nochmal neu denken? In Bremen passiert genau das. Anders wohnen. Zwei dieser ungewohnten Projekte werde ich hier beleuchten.
Die Antwort auf Wohnungsmangel in Städten war bis jetzt immer mehr neue Gebäude zu errichten aber verbauen wir uns so die Zukunft? Viele Architekten wollen in der Zukunft Städte »Nachverdichten«. Das heißt die Lücken über dem Edeka oder Penny schließen und diesen verschenkten Wohnraum mit Wohnungen füllen. Bevor man jetzt Angst hat, dass die Stadt platzt und kein Spalt mehr übrig bleibt, schlau konzipierte Nachverdichtungen können eine Stadt um einiges bereichern. Sie sorgen für Vielfalt und Diversität. Auf längere Sicht sollen mehr Wohn-Kieze entstehen, in denen man nur wenige Meter laufen muss um den Supermarkt, Kita oder das Atelier zu erreichen. Aus einem Stadtteil soll eine Gemeinschaft entstehen. Das Ziel ist es, totgeglaubten Quartieren leben einzuhauchen und qualitativen Wohnraum zu schaffen. Mit mehr sinnvoll genutzten Platz entsteht Raum für Neues. Ein paar dieser Quartiere entstehen auch hier in Bremen.
Im Herzen von Bremen Osterholz entsteht ein sozial-ökologisches Modellquartier namens »Stadtleben Ellener Hof«. Auf 10 Hektar Fläche soll ein Klimaquartier mit starker sozialer Inklusion entstehen. Jeder soll eine Chance bekommen Teil des Projektes zu sein, weshalb 500 Wohneinheiten für Familien, Senior*innen, Student*innen, Singles oder Menschen mit Beeinträchtigungen entstehen. Aber nicht nur alle Altersgruppen sollen vertreten sein. Auch auf kulturelle Diversität wird gesetzt, weshalb auf dem Gelände Norddeutschlands größter Hindu Tempel gebaut wird. Zur Weihung des Geländes wurde, traditionell nach dem Hinduistischem Glaube, eine heilige Kuh gesegnet und der Saft eines Kürbisses auf dem Boden verteilt. Außerdem gibt es dort eine Fahrradwerkstatt, ein Wohnhaus für Student*innen namens »HolzBude«, eine Kultur Aula, Gärten zum Selbstanbauen und vieles mehr.
Gefördert wird dieses Klima- und Fahrrad Quartier, von der Stadtgemeinde Bremen und der Bremer Heimstiftung. Besonderer Fokus liegt auch auf der Holzbauweise, welcher zu Nachhaltigkeit beitragen soll. Die Holz-Hybrid-Häuser werden nach dem KFW-40 Standard errichtet. Das bedeutet, dass diese Häuser sogar 60% weniger Energie verbrauchen, als die Vorschriften vorsehen.
Doch 10 Hektar Fläche, sind viel Platz, selbst für ein Bauprojekt. Dort entsteht wirklich ein komplett neues Quartier. Dass man dort nicht jeden Bewohner persönlich kennt, ist vielleicht unvermeidbar. Deshalb habe ich mich noch nach einem kleineren Projekt umgeschaut.
Auch in dem Bremer Stadtteil Walle entsteht ein neues Bauprojekt. Die sogenannte »Waller Mitte«. Auf einem alten Sportplatz entsteht das jüngste Projekt Bremens. Fünf verschiedene Baugemeinschaften von rund 80 Menschen, wollen eine soziale Oase im Nordosten Bremens erschaffen. Ich treffe mich hier mit Anne. Sie engagiert sich in der Bürgerinitiative Waller Mitte, arbeitet als Assistenzärztin.
Der ehemalige Fußballplatz sieht schon viel belebter aus als ich ihn mir vorgestellt habe. Auf den wenigen Fotos im Internet sah die Fläche noch relativ kahl aus, doch bei Betreten der Waller Mitte merkt man direkt, dass hier etwas passiert.
Als ich die ersten Schritte auf die Einfahrt des Platzes mache, steht Anne bereits mit zwei anderen Nachbarn aus der Gegend und unterhält sich. Während wir den Weg entlang die Grünfläche in der Mitte umkreisen, kann ich den Fortschritt, den das Bauprojekt macht, vor meinen Augen sehen. Nicht nur an den Kränen, an denen ich hochschaue zeigt sich, dass hier gebaut wird, sondern auch akustisch. Die sonst idyllische Szene wird vom typischem Bauarbeiter*innen Gerufe und einem schweren Bohrer untermalt. Dort wo der Krach herkommt entstehen die fünf verschiedenen Bauprojekte der Waller Mitte. Die Projekte sind alle unterschiedlich aber sie teilen eine Grundidee. Beispielsweise werden in einem Haus regelmäßig die Wohngemeinschaften durchgemischt, sodass jeder mal mit jedem zusammen wohnen kann und das Haus sich besser kennenlernt. In einer anderen werden die Mietpreise nach dem individuellen Einkommen bestimmt.
Aber nicht jedes Projekt muss den Weg der Kommune einschlagen. Manche funktionieren eher wie eine große Wgs. Jeder hat seine Wohnung, doch man trifft sich regelmäßig in den Gemeinschaftsräumen, um zusammen etwas zu kochen oder zu spielen. Zu den Freizeitaktivitäten kommen natürlich auch Treffen organisatorischer Natur auf die Bewohner zu. Wer sich in einer solchen Wohngemeinschaft engagieren will, muss auch die nötige Zeit mitbringen, um über weniger attraktive Themen zu diskutieren, wie zum Beispiel Müllentsorgung. Natürlich kann auch nicht jeder gleich viel Zeit opfern, doch so etwas muss eine solche Gemeinschaft ausgleichen können.
Auch mit der Stadt muss diskutiert werden. Wohnprojekte wie diese sind noch relativ jung. Sie entstanden das erste Mal in den 90ern. Deshalb muss um viele kleine Dinge noch gekämpft werden. Beispielsweise muss jedes Bauprojekt eine gewisse Anzahl an Stellplätzen für Autos bereitstellen. Natürlich ergibt das Sinn, denn du möchtest ja auch nicht, dass deine Nachbarn deinen Parkplatz klauen nur, weil sie keinen bauen wollten. Aber wenn in einem Haus 40 Menschen leben und nur eine handvoll davon Autos besitzt, muss ich dann wirklich 20 Parkplätze bauen? Deshalb versuchen Projekte wie die Waller Mitte, eine Fahrradwerkstatt zu errichten, in der man auch Fahrräder leihen kann, um die Mobilität zu sichern.
Doch wie finanzieren die Bewohner ein solches Projekt? Können nur wohlhabende Menschen in solchen Projekten wohnen? Das Stichwort lautet »Miet-Syndikat« und stammt aus Freiburg. Heruntergebrochen bedeutet es, dass eine Gruppe die eine Wohnprojekt gründen möchte, einen Verein gründet, welcher dann zusammen mit dem Mietshäuser Syndikat eine Haus-GmbH gründet. Zusammen kaufen sie dann das Haus oder Grundstück und finanzieren dies unter anderem mit Direktkrediten. Klingt alles sehr kompliziert, bedeutet im Grunde: Niemand gehört eine Wohnung und das Haus kann nicht verkauft werden, dafür kann kein Investor jemanden kündigen und die mieten bleiben billig über einen langen Zeitraum
Können solche Projekte die Zukunft für uns alle sein? Schließlich benötigt man viel Platz für ein solches Projekt und der Raum ist in vielen Städten begrenzt. Außerdem ist nicht jedes Wohnprojekt erfolgreich. Solche Vorhaben können auch scheitern. Um in Großstädten den Platz für ein Projekt zu gewinnen, muss den Gründern geholfen werden. Gerade in Großstädten gibt es nicht genug Grundstücke auf dem klassischen Wohnungsmarkt. Ohne die Förderung solcher Projekte durch die Stadt und NGOs wird es nur wenige innovative Wohngemeinschaften geben.
Doch abgesehen von den offensichtlichen Hürden, dachte ich mir nach dem Gespräch: Das klingt doch viel zu schön, um wahr zu sein. Eine Lösung für so viele Probleme, die wir mit der aktuellen Wohnsituation haben. Dabei sind auch noch die meisten Projekte nachhaltig orientiert und denken über die Zukunft nach. Doch letztendlich hat dieser alternative Wohnstil auch seinen Preis. Man muss bereit sein einen Teil seiner Freizeit und Privatsphäre zu opfern. Wenn du das tust und du findest ein solches Wohnprojekt, welches zu dir passt, findest du vielleicht eine Gemeinschaft, die du nirgendwo anders gefunden hättest und ein Zuhause, auf das du stolz sein kannst.