Studieren mit Kind

Ist das eine gute Idee?

Abi gemacht, FSJ hinterhergeschoben, Ausbildung gemacht. Und dann? Dann beschloss ich erstmal zu arbeiten und ein wenig Geld zu verdienen. Das erschien mir jedoch schnell zu geradlinig und mir fehlte die Aussicht auf Weiterentwicklung.

Um unsere Lebensplanung weiter voranzubringen, beschlossen mein (damals noch) Freund ich, ein Baby zu bekommen. Das war eine großartige Entscheidung, aber ich wollte gerne mehr. Ich wollte mich auch beruflich nochmal weiterentwickeln. Deshalb entschied ich mich mit 26 Jahren für das Studium der Digitale Medienproduktionen an der Hochschule Bremerhaven. Und was soll ich sagen: »Es war die richtige Idee!«

Mittlerweile befinde ich mich im vierten Semester und arbeite an der Produktion dieses Magazins mit. Anfang des Jahres kam mein zweites Kind zur Welt. »Dank Corona« kann ich auch mit kleinem Baby von Zuhause das Studium fortführen.

Sobald wieder Vorlesungen in Präsenz möglich sind, gibt es an der Hochschule Bremerhaven einige Möglichkeiten, ein Studium auch mit Kind zu absolvieren. Zu den Vorlesungen können Kinder mitgebracht werden, es ist jedoch empfehlenswert, dies vorab mit den Dozent*innen abzusprechen und bei Unruhe des Kindes den Hörsaal zu verlassen, um andere nicht zu stören. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nur Probleme gibt, wenn man nicht über diese spricht. Die meisten Dozent*innen sind sehr einsichtig und haben Verständnis für die Situation, zumal ja auch keiner möchte, dass Studierende das Studium nicht schaffen.

Um nicht nur über meine eigenen Erfahrungen zu diesem Thema zu schreiben, habe ich mich auf die Suche nach anderen Student*innen gemacht, die mit Kind studieren. Im Folgenden berichten drei verschiedene Eltern, wie sie ihr Studium mit Kind meistern.

Es ist Sonntag, meine Kids und ich sind mit dicker Sonnencreme eingecremt und wir treffen uns mit einer Familie zum Interview auf einem Spielplatz. Kristin und Jan sind beide 24 Jahre alt, haben zwei Kinder und studieren in Vollzeit an der Universität Bremen.

Kristin, erzähl doch mal, wie ist es so mit dir und dem Studium?

Kristin Ich wurde 2017 im dritten Semester mit meinem ersten Kind schwanger. Letztes Jahr, 2020, ist dann das zweite Kind dazu gekommen, also habe ich die Hälfte meines bisherigen Studiums mit Kindern studiert.

Jan, du warst vor dem Studium im ersten Ausbildungsjahr zum Gießereimechaniker, als du erfahren hast, dass du Vater wirst. Wie war das so?

Jan Das war auf jeden Fall eine Umstellung im Leben. Man hat sich natürlich komplett auf das Kind eingestellt. Aber als wir wussten, dass wir Eltern werden, war meine Prämisse »entweder ganz oder gar nicht« und dementsprechend habe ich mich nicht damit abgefunden, sondern mein Leben einfach etwas umgestellt. Ich habe damals schon fast Leistungssport betrieben, der ist dann leider weggefallen. Zudem war meine Berufsschule in Kiel und ich somit während der Ausbildung immer mal für drei Wochen weg, bis auf die Wochenenden. Das war natürlich für Kristin eine sehr anstrengende Zeit.

Ist das nicht alles ein bisschen viel auf einmal?

Jan Zur Not mache ich einfach weniger, das ist ganz einfach. Ich bin in der glücklichen Position, dass ich an der Universität Bremen nicht zur Anwesenheit an den Vorlesungen verpflichtet bin. Ja klar, man hat immer viele Ideen und einige Sachen werden zurückgesteckt, aber man kommt irgendwie im Leben voran.

Kristin Ich habe nur wenige Klausuren, dafür aber viele Hausarbeiten. Da mir das Schreiben an sich sehr liegt, komme ich deshalb im Studium ganz gut voran. Natürlich ist die Bachelorarbeit, die jetzt noch fehlt, ein Aufwand für sich, aber für mich ist es auf jeden Fall machbar. Jetzt in der Abschlussphase machen mir die Dozent*innen auch überhaupt keinen Druck, den mache ich mir eher selber, um endlich fertig zu werden.

Jan, denkst du, dass ein Studium mit Familie flexibler ist als ein Beruf mit Kindern?

Jan Ja auf jeden Fall. Ich bin sehr froh, jetzt im Studium zu sein. So kann ich Kristin deutlich stärker unterstützen, als wenn ich jetzt 40 Stunden die Woche arbeiten gehen würde. Aktuell arbeite ich nur noch einmal die Woche in meinem Ausbildungsbetrieb.

»Zeit für sich selbst zu finden ist schwierig.«

Kristin, was ist für dich der schwierigste Punkt in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Studium?

Kristin DDie Organisation oder die Strukturierung des Alltags, so, dass man halt auch noch Zeit für das Studium findet. Ein gesundes Gleichgewicht aus Studium und Arbeit, Haushalt, Kinderbetreuung, Familienzeit, sozialen Kontakten und den eigenen Bedürfnissen herzustellen ist schwierig.

Musst du auch manchmal zurückstecken?

Kristin Ja, ich finde schon, dass ich selbst bei der ganzen Geschichte etwas zu kurz komme. Vor allem hinsichtlich der Ruhephasen. Zeit für sich selbst zu finden und sich diese auch bewusst zu nehmen ist schwierig. Vor allem bewusst die Zeit freizunehmen ist schwierig. Natürlich stecke ich da sehr stark zurück. Das ganze Drumherum, das soziale Leben. Man geht nicht mehr oft feiern und wohnt auch nicht mehr in einer WG.

Von welcher Unterstützung profitiert ihr am meisten?

Jan Wir bekommen von der Familie finanziellen und zeitlichen Support. Und vor allem bekommen wir auch einen »Liebe-Support«. Man möchte ja auch nicht seine Kinder abgeben müssen, dann hat man zwar Zeit, aber die Kinder bekommen keine Liebe mehr. Da wissen wir unsere Kinder bei der Familie einfach sehr gut aufgehoben.

Wo würdet ihr euch mehr Unterstützung wünschen?

Kristin Es wäre toll, wenn Universitäten bessere Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder anbieten würden. Es gibt zwar Betreuungsgruppen, aber es ist sehr schwer, dort einen Platz zu bekommen. Toll wären auch transparentere Hinweise auf Möglichkeiten und Rechte der Studierenden mit Kindern.

Gibt es etwas, was euch total nervt?

Kristin Am meisten nervt mich, dass ich meine Arbeiten nicht durchziehen kann, sondern sie mir aufteilen muss und dass ich immer gefragt werde, wann ich endlich fertig sei und was ich denn danach nun machen möchte.

Jan, würdest du den gleichen Weg nochmal gehen?

Jan Ja! Mit Arbeitgeber wäre ich teilweise sehr unflexibel und so bin ich halt super flexibel und kann meinen Workflow an meine aktuelle Familiensituation anpassen.

Habt ihr Tipps für Eltern, die Studium und Kind unter einen Hut bekommen möchten?

Jan Kein Stress! Macht einfach lieber ein paar Semester mehr, als weniger. Nehmt euch genug Zeit für die Kinder und ansonsten braucht ihr ein gutes Umfeld, das einen unterstützt. Das müssen nicht unbedingt Familienmitglieder sein, aber vor allem einfach Menschen, denen man vertraut und auf die man zählen kann.

An einem Dienstag Vormittag habe ich mich mit meiner Nachbarin Havin verabredet. Sie studiert ebenfalls mit zwei kleinen Kindern und ich wir unterhalten uns oft über das Studium. An diesem Tag wurde es zu einem echten Interview.

An einem Dienstagvormittag habe ich mich mit meiner Nachbarin Havin verabredet. Sie studiert ebenfalls mit zwei kleinen Kindern und wir unterhalten uns oft über das Studium. An diesem Tag wurde es zu einem echten Interview.

Havin, erzähl mal, wer bist du und was machst du so?

Havin Ja, ich bin Havin. ich studiere Vollzeit mit zwei Kindern an der Universität Bremen und schreibe gerade meine Masterarbeit. Als ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde, war ich im ersten Semester.

Wie ist die mentale Belastung für dich?

Havin Es ist super anstrengend und super herausfordernd. Bevor der Lockdown kam, war ich ziemlich auf mich selbst gestellt, weil mein Partner auch den ganzen Tag nicht zu Hause, sondern bei der Arbeit war. Während des Lockdowns war es auch anstrengend. Jeder musste seine Arbeiten schaffen, aber ich hatte in der Phase deutlich mehr Unterstützung. Auf jeden Fall hatte ich dadurch mehr Zeit zum Studieren. Während ich meine Bachelorarbeit geschrieben habe, war ich auf viel Hilfe angewiesen, sodass meine Mutter zur Unterstützung hergekommen ist. In der Zeit saß ich von morgens bis abends am PC und habe dann gearbeitet. Da war ich schon auf eine Vollzeitbetreuung angewiesen. Wenn man ohne Kinderbetreuung am PC sitzt und für die Uni arbeitet, dann hat man immer ein schlechtes Gewissen. Man ist nie zu 100% bei der Arbeit und nie zu 100% bei den Kindern. Da mussten wir uns auch erstmal strukturieren, damit man ganz klare Zeiten für die Uni und die Kinder schafft. Ohne die Kita würde ich einfach gar nichts schaffen. Das hilft mir sehr. Ohne Hilfe geht es einfach nicht.

Wie steht deine Familie zu deiner Lebenssituation?

Havin Meine Familie ist sehr, sehr stolz und glücklich, dass ich studiere. Die fiebern die ganze Zeit mit und wollen, dass ich das schaffe. Sie zeigen auch sehr viel Verständnis für meine Situation. Die haben einfach Respekt davor und bieten auch immer wieder ihre Hilfe an.

»Kinder sind kein Grund um nicht zu studieren. Ich sehe meine Kinder eher als Motivation.«

Hast du Schwierigkeiten nach Hilfe zu fragen?

Havin Ja, nach der ersten Geburt fiel mir das total schwer. Ich dachte, ich müsste alles alleine schaffen und das ging total nach hinten los. Da habe ich dann gemerkt, dass es ohne Hilfe nicht geht.

Was ist für dich der schwierigste Punkt in Bezug auf Vereinbarkeit von Studium und Familie?

Havin Das ist auf jeden Fall der Zeitfaktor! Ich arbeite noch zehn Stunden die Woche als pädagogische Mitarbeiterin an einer Schule. Man bringt morgens die Kinder in die Kita und dann beginnt die Zeit zu rasen. Man ist froh, wenn man schnell etwas frühstücken kann, macht noch etwas Haushalt, dann liest man sich grad ein oder arbeitet sich ein und dann ist die Zeit schon wieder rum, dann muss Mittag gemacht werden und dann kann man die Kinder schon wieder abholen. Und dann sind sie wieder da! Man muss sich halt mit den Kindern beschäftigen, da kommt die Uni natürlich manchmal zu kurz.

Musst du aufgrund deiner Situation zurückstecken?

Havin Ja, ich würde gerne mehr Sport machen können, die körperliche Bewegung fehlt mir total. Und dass man vielleicht eine halbe Stunde/Stunde für sich hat, das wäre schön. Man hat halt wenig Freizeit, die muss man sich aktiv nehmen, die gibt einem keiner. Ich hätte auch Lust mal wieder ein Buch zu lesen, das mich auch privat interessiert. Aktuell lese ich nur Pflichtlektüre.

Musst du aufgrund deiner Situation zurückstecken?

Havin Ja, ich würde gerne mehr Sport machen können, die körperliche Bewegung fehlt mir total. Und dass man vielleicht eine halbe Stunde/Stunde für sich hat, das wäre schön. Man hat halt wenig Freizeit, die muss man sich aktiv nehmen, die gibt einem keiner. Ich hätte auch Lust, mal wieder ein Buch zu lesen, das mich auch privat interessiert. Aktuell lese ich nur Pflichtlektüre.

Was machst du zum Ausgleich?

Havin Ich habe angefangen, ein Ausmalbuch für Erwachsene zu holen, das ist sehr entspannend.

Hast du Tipps für Familien, die vor dieser Situation stehen?

Havin Man kann sich an der Uni beraten lassen, z.B. in einem Familienbüro. Es ist ganz wichtig auch nach Hilfe zu fragen, auch innerhalb und außerhalb der Familie.

Würdest du dich nochmal dazu entscheiden?

Havin Ja, wenn ich weiß, dass ich genau die Unterstützung nochmal bekomme, wie ich sie jetzt hatte, dann würde ich es ganz genau so nochmal machen. Ich habe das große Glück, dass ich ein Stipendium bekommen habe. Ohne dieses Stipendium wäre es glaube ich auch sehr schwierig, finanziell alles unter Dach und Fach zu bekommen.

Hast du abschließende Worte?

Havin Ein Studium ist sehr wertvoll. Wenn man dafür brennt, sollte man es machen. Man sollte sich durch Nichts aufhalten lassen. Kinder sind kein Grund, nicht zu studieren. Ich sehe meine Kinder eher als Motivation. Immer wenn ich etwas mache, habe ich auch meine Kinder im Blick und weiß, wofür ich das mache. Wenn es mir gut geht, gehts auch allen anderen gut und ich möchte den Erfolg teilen.

Abschließend möchte ich noch von einer weiteren Studentin berichten. Martina ist 42 Jahre alt und hat genau wie ich im Studiengang Digitale Medienproduktion studiert. Schon während des ersten Semesters haben wir uns kennengelernt und interessanterweise auch den gleichen beruflichen Hintergrund. Genau wie ich hatte auch sie vorher eine Ausbildung im Gesundheitswesen abgeschlossen. Martina hat im ersten Semester ihr erstes Kind bekommen. Sie sagt aber ganz klar, dass sie nicht weiß, ob sie mit Kind ein Studium angefangen hätte. Jedenfalls würde sie den Weg nicht nochmal so gehen, sondern erst zu Ende studieren, um sich voll und ganz darauf konzentrieren zu können.

Am schwierigsten sei es, die Vorlesungszeiten mit den Kinderbetreuungszeiten abzupassen. Es gibt zwar eine selbst organisierte Betreuungsmöglichkeit an der Hochschule Bremerhaven, jedoch muss sich dort gut abgesprochen werden und unter den Corona-Bedingungen sind solche Möglichkeiten leider hinfällig. Tatsächlich hat Martina nach dem Sommersemester 2020, mit Beginn der Corona-Maßnahmen, das Studium vorzeitig abgebrochen. Für sie war das Studieren mit Kindern und ihrer Nebentätigkeit als Hebamme nicht mehr miteinander zu vereinbaren. Dennoch konnte sie vieles aus dem Studium mitnehmen und konnte somit beispielsweise die Internetseite ihres Mannes gestalten und verwalten. Zusätzlich hat Martina sich nebenberuflich selbstständig gemacht und möchte mit einer Internetplattform, die von Hebammen für Hebammen gedacht ist, medizinisches Wissen vermitteln. Im Studium hat sie dafür viele Grundlagen der digitalen Medienwelt erlernt, sodass ihrer Kreativität in der Gestaltung der Webseite keine Grenzen gesetzt sind.

Wie man sieht kann ein Studium mit Kind eine gute Idee sein, muss es aber nicht. Ich persönlich kann nur allen raten ein Studium zu wagen, wenn man den Wunsch danach hat – auch wenn schon Kinder vorhanden sind. Auch falls sich während des Studiums ein Kind ankündigt, muss das nicht gleich heißen, dass ein Studium von nun an nicht mehr machbar ist. Bei all meinen Interviewpartner*innen und auch aus meiner Erfahrung kann ich zusammenfassen, dass das Wichtigste das Vertrauen in einen selber ist, man sich nicht scheuen sollte nach Hilfe und auch Rat zu fragen und diese Hilfe dann auch anzunehmen.

Text & Illustrationen | Lena Fehlig