Leben um zu arbeiten oder arbeiten um zu leben?

Gerade in der heutigen Zeit, die schnelllebig und kurzatmig geworden ist, sehnen sich viele Menschen danach, einen alternativen Lebensweg einzuschlagen und aus ihrem Beruf oder bisherigen Leben »auszusteigen«. Was steckt hinter dem Begriff »Aussteiger*innen«? Aussteiger*innen sind Personen, die etwas (plötzlich und komplett) aufgegeben haben, zum Beispiel den Beruf oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Beruflich ode privat auszusteigen ist nicht immer einfach. Generell lässt sich sagen, dass Menschen Gewohnheitstiere sind. Gewohnheit heißt für viele Sicherheit und Bequemlichkeit und genau diese Komfortzone zu verlassen, ist oft unangenehm und beängstigend. Genau dasselbe hat auch Jannik zu berichten, der 2019 seinen Job gekündigt hat und seitdem auf Reisen ist. Jannik hat Logistik an der HAW studiert und dann in einer Firma in Hamburg gearbeitet, allerdings machte ihn das nicht glücklich. Gerade lebt er in seinem Van in Südspanien. Getroffen habe ich Jannik leider aufgrund der aktuellen Situation nicht. Daher haben wir uns telefonisch verabredet.

Aussteiger*innen:

Aussteiger*innen sind Personen, die etwas (plötzlich und komplett) aufgegeben haben, zum Beispiel den Beruf oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.

Wann hast du dich dazu entschieden »auszusteigen«?

Jannik 2018/2019 habe ich schon überlegt zu kündigen und dann Anfang 2019 habe ich gekündigt, ohne einen Plan zu haben, was ich wirklich machen möchte. Ich hab gemerkt, dass mir mein Job einfach viel Energie raubt, die ich gerade in meinen persönlichen Weg stecken möchte. Dadurch habe ich auch meine spirituelle Seite gefunden – also nicht im Sinne von Esoterik – sondern eher mit Meditieren und Yoga. Zwischendurch habe ich auch eine Therapie gemacht und das alles zusammen hat mich mehr meine Mitte finden lassen. Ich bin kurz nach meiner Kündigung dann erstmal für 8 Wochen in die Schweiz auf einen Bauernhof gezogen und habe dort zusammen mit einem Landwirt gearbeitet und das war eine sehr schöne Zeit für mich. Später dann bin ich wieder nach Hamburg gegangen und habe vorerst in einem kleinen veganen Café gearbeitet. Ich habe ungefähr zu demselben Zeitpunkt dann auch ein Studium angefangen, aber eher aus Interesse, als mit der Intention, das Studium dann auch beenden zu wollen.

Was hat dich so interessiert, dass du erneut ein Studium angefangen hast?

Jannik Ahja, das war Soziologie bzw. Sozialwissenschaften. Ich finde es einfach interessant zu schauen, warum wir uns als Gesellschaft so verhalten und warum wir so sind, wie wir sind. In welchem System wir leben und warum wir das machen. Ich fand all diese Aspekte sehr spannend und habe dann ungefähr ein halbes Jahr lang studiert und dann kam irgendwie Covid und dann hatte ich keine Lust mehr, Online Vorlesungen zu machen und hab dann gemerkt – okay – das ist nicht das, was ich machen möchte und bin dann 2020 auf einen Hof in Niedersachsen gezogen.

Wann hast du dich dazu entschieden »auszusteigen«?

Jannik 2018/2019 habe ich schon überlegt zu kündigen und dann Anfang 2019 habe ich gekündigt, ohne einen Plan zu haben, was ich wirklich machen möchte. Ich hab gemerkt, dass mir mein Job einfach viel Energie raubt, die ich gerade in meinen persönlichen Weg stecken möchte. Dadurch habe ich auch meine spirituelle Seite gefunden – also nicht im Sinne von Esoterik – sondern eher mit Meditieren und Yoga. Zwischendurch habe ich auch eine Therapie gemacht und das alles zusammen hat mich mehr meine Mitte finden lassen. Ich bin kurz nach meiner Kündigung dann erstmal für 8 Wochen in die Schweiz auf einen Bauernhof gezogen und habe dort zusammen mit einem Landwirt gearbeitet und das war eine sehr schöne Zeit für mich. Später dann bin ich wieder nach Hamburg gegangen und habe vorerst in einem kleinen veganen Café gearbeitet. Ich habe ungefähr zu demselben Zeitpunkt dann auch ein Studium angefangen, aber eher aus Interesse, als mit der Intention, das Studium dann auch beenden zu wollen.

Was hat dich so interessiert, dass du erneut ein Studium angefangen hast?

Jannik Ahja, das war Soziologie bzw. Sozialwissenschaften. Ich finde es einfach interessant zu schauen, warum wir uns als Gesellschaft so verhalten und warum wir so sind, wie wir sind. In welchem System wir leben und warum wir das machen. Ich fand all diese Aspekte sehr spannend und habe dann ungefähr ein halbes Jahr lang studiert und dann kam irgendwie Covid und dann hatte ich keine Lust mehr, Online Vorlesungen zu machen und hab dann gemerkt – okay – das ist nicht das, was ich machen möchte und bin dann 2020 auf einen Hof in Niedersachsen gezogen.

»Alle denken so frei zu sein, ist total toll und schön - es ist aber auch ein ganz schönes Stück Arbeit.«

Eine Freundin von mir ist auch vor kurzem ins Wendland gezogen und arbeitet da nun auf einer solidarischen Landwirtschaft. So viel weiß ich über das Wendland allerdings nicht. Erzähl mir doch gerne was darüber!

Jannik Ich habe da in einem Sozialprojekt mit Kindern und Jugendlichen mitgewirkt. Die Eigentümer der Farm sind eine Familie, die selbstversorgend lebt und einen großen Acker und Gemüsebeet besitzt. Kinder und Jugendliche, vor allem auch Schulklassen, können kommen und auf dem Hof mitwirken und dem Alltag dadurch auch ein Stück entkommen. Einfach mal den Kopf ausschalten und was mit den Händen machen.

Ist es befreiend, sich von sozialen Erwartungen zu lösen?

Jannik Ja – das war auch ein langer Weg. Bei manchen dauert es Jahre bis sie so weit sind, bei einigen geht es schneller. Das hängt immer damit zusammen, wie schnell du dich von deinen Gewohnheiten trennen kannst. Am Ende des Tages musst du auf dein Herz hören – oder eher dein inneres Wort – und dich nicht von außen treiben lassen. Das Leben wird irgendwie entspannter, wenn man sich von alten Mustern oder Gewohnheiten löst. Alle denken dann, so frei zu sein ist total toll und schön, es ist aber auch ein ganz schönes Stück Arbeit. Ich habe Höhen und Tiefen durchgemacht. Das ist nicht von Tag eins Friede, Freude, Eierkuchen; es kommen auch immer wieder verborgene Dinge aus der Vergangenheit durch, die du dann bewältigen musst.

Teilweise muss man ja schon Kompromisse schließen, wenn man nicht mehr auf den Komfort einer Stadtwohnung mit der heißen Dusche zugreifen kann. Meinst du, eben dieses »Verzichten« hat dich mental und/oder körperlich stärker gemacht?

Jannik Das glaube ich schon. Ich habe in der Jurte gelebt und die war nicht isoliert. Die Jurte hatte zwar einen Ofen im Inneren, doch war jedoch eigentlich eine Sommerjurte. Wenn das Feuer im Ofen nicht mehr gebrannt hat, dann hat das Innere des Zeltes schnell Außentemperatur angenommen. Das war am Anfang eine heftige Umgewöhnung. Vom Komfort eines Hauses mit Fußbodenheizung in ein dünnes Zelt. Das war arschkalt. Das hieß dann Mütze, Schal, Handschuhe, drei Lagen Klamotten und zwei dicke Decken. Das war zwar hart, aber super stärkend. Ich finde es total toll. Früher hätte ich mir das nicht erdenken können.

Du hast gesagt, dass es wichtig ist, seinem Herz zu folgen und der eigenen Angst zuzuhören. Gab es bei dir auch noch ein anderes Motiv, dass dich dein Leben nochmal überdenken lassen hat?

Jannik Ich glaube, die Befreiung war das größte Motiv. Aber auch die Nähe zur Natur oder im Einklang mit der Natur zu leben. Daher wohne ich auch im Van oder in der Jurte. In einem Haus oder einer Wohnung zu leben kann ich mir gar nicht vorstellen. Oder auch in der Stadt. Sozial und nachhaltig zu leben und so wenig wie möglich auszubeuten, ist für mich besonders wichtig. Ich ernähre mich jetzt auch seit einem Jahr vegan – ab und zu esse ich aber auch ein Ei, wenn ich weiß, dass es den Hühnern gut geht.

Du hast ja wahrscheinlich auch immer eine Menge zu erzählen, wenn du nach Hause kommst. Wie sieht es denn mit Reisen aus? Bist du vorwiegend alleine gereist oder hast du jemanden dabei gehabt?

Jannik Ich bin meistens alleine gereist – das war mir auch sehr wichtig. Zwar hat irgendwas in mir drin gesagt, dass ich alleine nicht reisen kann oder das ich jemanden brauche, aber im Endeffekt war es gut, dass ich alleine gereist bin. Einfach bei mir selbst zu sein und nicht bei Leuten. Dann kommen auch Sachen hoch. Wenn du immer im Außen lebst und tausende Einflüsse um dich herum hast, kannst du nicht hören, was in dir abgeht. Wenn du dann alleine bist, fängst du irgendwann an Selbstgespräche zu führen und über deine eigenen Witze zu lachen. Vielleicht spürst du dann auch Ängste in dir, die dich schon dein bisheriges Leben begleitet haben, aber dadurch, dass du jetzt wenig oder keine Ablenkung hast, musst du dich eher mit ihnen konfrontieren. Jetzt nochmal, um auf das Reisen zurückzukommen. Mir macht es sehr Spaß, alleine zu sein oder auch alleine zu reisen.

Das ist doch eine gute Einstellung. Alleine sein ist nicht immer einfach.

Jannik Das stimmt, einigen Menschen fällt das sehr schwer. Mir selbst ja auch immer noch. Zwischendurch einfach mal alleine sein und sich nicht ablenken zu lassen ist jedoch sehr gesund.

Gibt es etwas, was du dir jetzt gerade von deinem Leben wünschst oder einen Traum, den du dir noch erfüllen möchtest?

Jannik Nein, nicht wirklich. Das ist etwas, das ich in letzter Zeit gelernt habe. Ich war ja bis Ende Februar auf der Olivenfarm und habe dann gemerkt, dass ich wieder weiterziehen möchte. Ich habe dann ganz blauäugig eine benachbarte Gemeinschaft gefragt, ob ich eine Zeit lang bei denen leben kann. Und da habe ich gemerkt, dass ich zum Leben eigentlich nicht mehr brauche. Wenn ich mich treiben lasse und von Tag zu Tag lebe und ich keine Ahnung habe, was morgen ist, lebe ich glücklicher. Was alles noch kommt oder wen ich vielleicht noch treffe, kann ich jetzt nicht wissen. Meine Wünsche beschränken sich eher auf Sehnsüchte, wie: »Ich will ans Meer!«, aber ansonsten habe ich keine Wünsche. Gerade bin ich zufrieden.

»Wenn ich mich treiben lasse und von Tag zu Tag lebe und ich keine Ahnung habe was morgen ist, leb ich glücklicher.«

Das ist doch eine gute Einstellung. Alleine sein ist nicht immer einfach.

Jannik Das stimmt, einigen Menschen fällt das sehr schwer. Mir selbst ja auch immer noch. Zwischendurch einfach mal alleine sein und sich nicht ablenken zu lassen ist jedoch sehr gesund.

Gibt es etwas, was du dir jetzt gerade von deinem Leben wünschst oder einen Traum, den du dir noch erfüllen möchtest?

Jannik Nein, nicht wirklich. Das ist etwas, das ich in letzter Zeit gelernt habe. Ich war ja bis Ende Februar auf der Olivenfarm und habe dann gemerkt, dass ich wieder weiterziehen möchte. Ich habe dann ganz blauäugig eine benachbarte Gemeinschaft gefragt, ob ich eine Zeit lang bei denen leben kann. Und da habe ich gemerkt, dass ich zum Leben eigentlich nicht mehr brauche. Wenn ich mich treiben lasse und von Tag zu Tag lebe und ich keine Ahnung habe, was morgen ist, lebe ich glücklicher. Was alles noch kommt oder wen ich vielleicht noch treffe, kann ich jetzt nicht wissen. Meine Wünsche beschränken sich eher auf Sehnsüchte, wie: »Ich will ans Meer!«, aber ansonsten habe ich keine Wünsche. Gerade bin ich zufrieden.

Aussteigen statt Umsteigen

Marten ist kein »Aussteiger« nach dem Bilderbuch. 2019 hat er sich entschieden seinen Job zu kündigen, um als Medienaktivist die Organisation »Lützerath lebt« durch Film- und Fotoaufnahmen zu unterstützen. Durch einen glücklichen Zufall hat er an einem Treffen der Klimaschutzorganisation »Extinction Rebellion« teilgenommen und setzt sich seitdem für Klimaschutz und gegen den Kohleabbau am Garzweiler ein. Sein derzeitiger Wohnort, Lützerath, ist einer der Dörfer, die wegen des Braunkohleabbaus von RWE abgerissen werden soll.

Was für Aufgaben hast du als Medienaktivist?

Marten Ab und zu mache ich Filmaufnahmen für den »Unser Aller Wald« in Keyenberg, der aktuell von Aktivisten besetzt wird. Meistens sind das Drohnenaufnahmen. Die Aktivisten dort bringen wöchentliche Videotagebücher heraus. Im Allgemeinen filme ich auch für unsere Social Media Kanäle. Ein persönliches Projekt von mir sind auch 3D-Scans.

Du hattest bevor du nach Lützerath gezogen hast, als Designer gearbeitet. Woher kam der Wechsel zum (Medien)aktivismus? Was war der Auslöser?

Marten Da muss ich ein wenig ausholen.

Alles gut, ich hab Zeit!

Marten Im Grunde war es eine Verkettung von Ereignissen. Ich wollte nie wirklich in einer Werbeagentur arbeiten. Ursprünglicherweise hatte ich vor etwas mit Animationen und 3D machen. Ich hab auch 3D Animation studiert und dann hat sich das nach meinem Studium so »glücklich« ergeben, dass ich in meiner Heimatstadt Braunschweig einen Job in einer großen Werbeagentur bekommen habe. Bis Ende 2009 ging dann mein Bachelorstudium und Anfang 2010 habe ich dann in der Agentur als 3D Artist angefangen. Ich hatte in der Werbeagentur auch meine damalige Partnerin getroffen und habe dann dort 10 Jahre lang gearbeitet. Es gab jedoch auch Phasen, in denen es mir nicht so gut ging. Oft habe ich mich selbst gefragt, ob meine Tätigkeit in der Werbebranche wirklich so sinnerfüllend ist. Es hat sich angefühlt, als ob etwas in meinem Leben fehlt. In der Phase ist dann die Beziehung zu meiner Partnerin auch zerbrochen. Ich bin in dem Jahr auch 38 Jahre alt geworden. Die Mid-Life Crisis hat da wahrscheinlich auch ordentlich mitgespielt. Nachdem bin ich erstmal in ein richtiges Loch gefallen. Ende 2019 hat mich die Aktionsreihe »Rebellion Wave« von Extinction Rebellion da wieder rausgeholt. Das war das erste Mal, dass ich zivilen Ungehorsam gemacht habe. Das war ein richtig tolles Erlebnis und ich bin in der Gemeinschaft der anderen Aktivist*innen sehr aufgeblüht

Du hattest bevor du nach Lützerath gezogen hast, als Designer gearbeitet. Woher kam der Wechsel zum (Medien)aktivismus? Was war der Auslöser?

Marten Da muss ich ein wenig ausholen.

Alles gut, ich hab Zeit!

Marten Im Grunde war es eine Verkettung von Ereignissen. Ich wollte nie wirklich in einer Werbeagentur arbeiten. Ursprünglicherweise hatte ich vor etwas mit Animationen und 3D machen. Ich hab auch 3D Animation studiert und dann hat sich das nach meinem Studium so »glücklich« ergeben, dass ich in meiner Heimatstadt Braunschweig einen Job in einer großen Werbeagentur bekommen habe. Bis Ende 2009 ging dann mein Bachelorstudium und Anfang 2010 habe ich dann in der Agentur als 3D Artist angefangen. Ich hatte in der Werbeagentur auch meine damalige Partnerin getroffen und habe dann dort 10 Jahre lang gearbeitet. Es gab jedoch auch Phasen, in denen es mir nicht so gut ging. Oft habe ich mich selbst gefragt, ob meine Tätigkeit in der Werbebranche wirklich so sinnerfüllend ist. Es hat sich angefühlt, als ob etwas in meinem Leben fehlt. In der Phase ist dann die Beziehung zu meiner Partnerin auch zerbrochen. Ich bin in dem Jahr auch 38 Jahre alt geworden. Die Mid-Life Crisis hat da wahrscheinlich auch ordentlich mitgespielt. Nachdem bin ich erstmal in ein richtiges Loch gefallen. Ende 2019 hat mich die Aktionsreihe »Rebellion Wave« von Extinction Rebellion da wieder rausgeholt. Das war das erste Mal, dass ich zivilen Ungehorsam gemacht habe. Das war ein richtig tolles Erlebnis und ich bin in der Gemeinschaft der anderen Aktivist*innen sehr aufgeblüht

Was war daran so besonders?

Marten Es war diese Art von »Empowerment« und einfach zu wissen, dass alle an einem Strang ziehen. Hier passiert gerade etwas Großes und Gutes und wir sind Teil davon. »Rebellion Wave«, also die Veranstaltung von Extinction Rebellion, war mein Einstieg in den Aktivismus.

Und dann wolltest du nicht mehr weg?

Marten Es kam erstmal noch eine anfänglich schwierige Zeit. Ich und viele andere die angefangen haben, sich bei XR (Extinction Rebellion) zu engagieren, haben nebenbei noch einen Vollzeitjob gehabt. Wenn man aus der, so wird es bei der Organisation genannt, »toxischen Kultur« stammt, dann bringt man viel mit. Es ist irgendwie schwer, richtig mit Projekten zu starten, wenn alle gestresst von der Arbeit kommen und sich dann abends nochmal für ein Plenum treffen wollen.

»Für mich war und ist die Zeit eine Reise zu sich selbst.«

Meinst du, deine Kreativität ist während deiner Arbeit in der Werbeagentur ausgebrannt?

Marten TTatsächlich habe ich nicht mehr viele eigene Projekte gemacht, während ich in der Werbeagentur gearbeitet habe. Wenn du 8 Stunden am Tag arbeitest, hast du nicht mehr wirklich Zeit, eigene Projekte zu starten. In der Werbeagentur herrscht ja auch eine übergeordnete Hierarchie. Ich war ganz froh nie die Verantwortung für Projekte, wie zum Beispiel für die Automobilbranche (VW) zu übernehmen, weil ich diese moralische Verantwortung nicht übernehmen wollte. Dann entsteht wieder so ein stylischer Film für einen Konzern, der die Umwelt zerstört.

Hattest du öfter moralisches Bedenken bei deinen Projekten in der Agentur?

Marten Ja, das würde ich schon sagen. Irgendwann akzeptiert man den Fakt, dass das nun mal die Welt ist in der wir leben und dass bestimmte Konzerne einfach das Geld haben, um sich bestimmte Sachen leisten zu können. Irgendwie hat man das schon im Hinterkopf. Dieses Gefühl, das sagt, dass es lange nicht mehr so weitergehen kann. Ich hab mich zu dem Zeitpunkt auch in der Links-Partei engagiert, um das Gefühl irgendwie ausgleichen zu können.

Wie hat die Pandemie dich persönlich beeinflusst? Hat sich bei dir beruflich oder auch privat etwas verändert?

Marten Total, da will ich aber jetzt kein so großes Fass aufmachen. Im Grunde hat es den Vollzeit-Aktivismus ermöglicht. Das war die Kurzfassung. Ich war bis dahin ja in der Werbeagentur und habe abends nur ab und zu mal Aktivismus innerhalb meiner Ortsgruppe in Braunschweig gemacht. Die Pandemie war für mich ein totaler Schock. Ich hatte dann eine kurze Zeit später einen Text von einem Philosophen gelesen, der darüber geschrieben hat, dass es immer Phasen gibt, in der sich die Zivilisation umgebaut hat. Also eine Art Paradigmenwechsel. Der Text hat mich empowered und ich habe daran gedacht, dass die Pandemie viel gesellschaftlich verändern wird. Ich bin dann auch in Kurzarbeit gewesen und habe jede freie Zeit genutzt, um Aktivismus zu betreiben. Ungefähr einen Monat später wurde ich komplett durch Kurzarbeiter*innen Geld finanziert und hab mich dementsprechend auch nach Aktionen von XR (Extinction Rebellion) in Deutschland umgeschaut. Ich war in Lüneburg, Lübeck, Nürnberg oder habe Obergruppen besucht und bei deren Aktionen mitgeholfen. So bin ich dann auch irgendwann in Lützerath gelandet.

Der Medienaktivismus hat deine berufliche Situation geändert. Was hat sich privat bei dir geändert?

Marten Ich bin genau deswegen in Lützerath, weil ich gespürt habe, wie gut es mir tut hier zu sein. Ich hab eine Menge Selbsterkenntnisse gehabt. Für mich war und ist die Zeit eine Reise zu sich selbst. Ich hatte einfach auch psychologisch viele Baustellen, die unbearbeitet waren und man hatte keine Zeit sich damit zu beschäftigen. Wenn man 8 Stunden am Tag arbeitet, bleibt nicht mehr viel übrig. Es gab für mich auch keinen Raum, der es mir ermöglichen konnte, solche Gefühle zu teilen. In der »Welt da draußen«, also in unserer kapitalistischen Welt, ist es nicht Standard, über Gefühle zu sprechen oder den passenden Raum dafür zu schaffen. In Lützerath gibt es sogenannte »Emo-Runden«, in der über Emotionen gesprochen werden und ich habe das aufgesaugt wie ein Schwamm. Ich hab gemerkt, wie gut es mir tut meine Gefühle zu äußern und habe das auch sehr gebraucht. Ich kannte das vorher aus meinem Leben nicht. Mit dem Aktivismus kam auch die Arbeit mit mir und an mir selbst. Die Selbstreflexion, hat jedoch schon vor dem Aktivismus angefangen. Ich bin echt froh, dass die heutige Generation auf mentale Gesundheit noch ein Stück mehr den Fokus legt.

»Wir leben gesetzlich ja schon in einer freien Gesellschaft, doch die wenigsten von uns fühlen sich wirklich frei.«

Meinst du, wir als Gesellschaft reden zu wenig über mentale Gesundheit?

Marten Ich denke, dass das eben ein großer Teil unserer gesellschaftlichen Probleme ist. Wichtig finde ich, vor allem jungen Menschen zu zeigen, wie wichtig es ist auf die mentale Gesundheit zu achten. Dass man sich für seine mentale Gesundheit nicht nur Zeit nehmen kann - sondern auch muss. Gefühle wie Wut und Traurigkeit zuzulassen und mit anderen Mitmenschen zu teilen. Viele Leute haben diese Räume oder »Safe Spaces« nicht und in Zukunft müssen wir mehr darauf achten eben solche Räume für alle zu schaffen. Ich seh dabei auch ein großes Problem, dass in unserer Kultur gerne verdrängt oder unterdrückt wird. Das kapitalistische System würde nicht funktionieren, wenn wir besser mit unserer mentalen Gesundheit umgehen würden. Wenn wir mehr Zeit zum Reflektieren hätten, würden wir wahrscheinlich sehr viel anders machen.

Gibt es jemanden oder etwas, dass dich täglich inspiriert?

Marten Ich glaube am inspirierendsten sind Momente, in denen ich mir die Zeit nehme, das alles hier auf mich wirken zu lassen. Mir in den Sinn zu rufen, warum ich hier bin und dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gelandet bin. Ich würde das als magischen Moment beschreiben.

Hast du einen Rat für jemanden, der gerne aus seinen eigenen Strukturen ausbrechen möchte?

Marten Einfach machen! Also ich weiß, dass das leichter gesagt, als getan ist. Man merkt sehr schnell was gut tut und was nicht. Versuch es einfach und spring auch ins kalte Wasser. Das Springen ins Wasser ist auch ein ganz guter Vergleich. Wenn du erstmal hineinspringst, ist es zu Anfang sehr kalt aber je mehr du dich bewegst, desto wärmer wird dir und so einfacher kommt es dir vor. Ich glaube, man muss einfach in Bewegung bleiben. Im aktivistischen Kontext habe ich immer das Gefühl gehabt, das »warm werden« ging sehr schnell. Das lag auch wahrscheinlich zum großen Teil daran, wie die Leute hier miteinander umgehen.

Wie definierst du Freiheit? Was ist Freiheit für dich?

Marten Für mich ist es das Überwinden von Hemmschwellen. Das Lösen von Erwartungen und sozialem Druck. Das sind für mich die größten Momente der Freiheit. Wir leben gesetzlich ja schon in einer freien Gesellschaft, doch die wenigsten von uns fühlen sich wirklich frei. Freiheit ist das Gefühl, leben zu können, ohne das legitimieren zu müssen.

Text & Illustrationen | Laura Nespethal