Asexualität und Aromantik

»Warum Sex, wenn du auch Kuchen haben könntest?«

Einige merken schon früh, dass sie vielleicht anders sind, als ihre gleichaltrigen Mitmenschen. Mit 14 überhört man möglicherweise, wie Ältere über ihr Sexleben sprechen und man hat Probleme, sich vorzustellen, ein eigenes zu haben.

Mit 16 weiß man zwar, dass einige bereits ihr erstes Mal hatten und andere sich wünschen, dieses vor ihrem 18. Geburtstag zu tun, doch es ist immer noch schwierig, sich selbst in der Situation zu sehen. Freunde reden davon, wie heiß fremde Menschen sind und mit wem sie gerne schlafen würden, doch auch dies scheint komisch und fremd, aber Spätzünder soll es ja geben, also liegt es vielleicht nur daran. In zwei Jahren sieht das ganze vielleicht schon anders aus. Doch auch mit 18 scheint es immer noch nicht der Fall zu sein.

Das Internet ist für viele bei der Entdeckung der eigenen Identität eine große Hilfe, da Asexualität und Aromantik fast gar nicht im Sexualkundeunterricht angesprochen werden, und auch in den Medien kommt es äußerst selten vor, dass das Thema erwähnt wird, und dann häufig in negativem oder in entmenschlichendem Kontext, oder ohne es beim Namen zu nennen.

Wenn man Glück hat, stolpert man schon mit 14 über den Begriff und kann dann versuchen, Beweise dafür zu finden, dass etwas nicht existiert. Es kann aber auch sein, dass man die Erkenntnis erst mit 20 hat und man einfach davon ausgegangen ist, dass es allen anderen genauso geht und dass man nur Sex hat, weil man das halt macht, auch wenn es einem keine große Freude bereitet.

Das sind nur einige der Möglichkeiten, wie es sich anfühlen kann, wenn man seine Asexualität/-romantik entdeckt und sich allmählich damit auseinandersetzt. Eine asexuelle Person empfindet keine – oder nur eine sehr geringe – sexuelle Anziehung zu anderen Menschen und empfindet selten bis gar nicht das Bedürfnis, Sex zu haben, unabhängig von anderen Menschen. Anders als das Zölibat, bei dem man sich dazu entscheidet auf Sex zu verzichten, ist Asexualität ein wesentlicher Bestandteil der Person, genau wie jede andere sexuelle Orientierung.

Asexualität ist wie so vieles im Leben ein Spektrum, und die Erfahrungen und Gefühle einer Person spiegeln nicht die ganze Community wider. Einige erleben nie sexuelle Anziehung, andere tun dies schon, allerdings sehr selten und nur unter bestimmten Bedingungen. Die Einstellung gegenüber Sex ist sehr individuell und unterscheidet sich von Person zu Person, auch innerhalb des asexuellen Spektrums. Schätzungen unterscheiden sich, was den Anteil an asexuellen Menschen betrifft, doch die meist zitierte Zahl liegt bei 1% der Bevölkerung.

»Ace/s«:

Abkürzung für asexuelle Person/en

»Aro/s«:

Abkürzung für aromantische Person/en

Etwas, was oft mit Asexualität zusammen vorkommt, ist Aromantik. Aromantische Menschen verspüren keine romantische Anziehung zu anderen. Während bei den meisten anderen Orientierungen sie sexuelle und romantische Anziehung einander entsprechen, ist das bei Aro/Aces nicht unbedingt der Fall. Aces können romantische Anziehung empfinden, genauso wie Aros sexuelle Anziehung empfinden können. In beiden Fällen kann diese Anziehung anderen Orientierungen, wie z.B. homo-, hetero-, bisexuell bzw. -romantisch. Es gibt wenig Nachforschung und Studien zu diesen Themen, deswegen ist es schwer zusagen wie das alles verteilt ist. Während viele Aros sich dazu entscheiden keine Beziehung einzugehen gibt es welche, die es trotzdem tun, weil sie so nah zu einer anderen Person stehen.

Natürlich haben Aros/Aces auch mit Vorurteilen und Missverständnissen zu kämpfen. Eine der häufigsten Reaktionen ist, dass man nur die richtige Person finden muss, oder, dass es ganz normal ist, nicht mit jedem schlafen zu wollen. Viele Männer fühlen sich zusätzlich unter Druck gesetzt, dass sie als weniger »männlich« angesehen werden könnten, da sexuelles Verhalten ein Teil von dem ist, was viele als Mann sein empfinden.

Frauen hingegen wird häufig vorgeworfen, dass doch jede normale Frau desinteressiert an Sex ist, und höchstens mit ihren festen Partnern schläft. Durch die Tatsache, dass gerade attraktive Frauen häufig sexualisiert werden, kann es ihnen dadurch noch schwerer fallen, herauszufinden, ob sie asexuell sind, ob sie es einfach müde sind, ständig in einen sexuellen Kontext gesetzt zu werden oder ob sie ganz unabhängig von diesen Faktoren schlichtweg keine Anziehung verspüren, ganz egal, wie viele Gelegenheiten sie dazu haben.

Etwas, was häufig missverstanden wird, ist, dass asexuelle Menschen sehr wohl sexuelle Erregung verspüren können. Für diese braucht es keine sexuelle Anziehung zu einem anderen Menschen, die Libido ist einfach ein körperlicher Trieb. Asexuelle verspüren jedoch nicht das Bedürfnis, diesem nachzugehen. In diesem Fall ist es eine einfache biologische Reaktion.

Oft wird auch angenommen, dass Asexualität / Aromantik durch eine Krankheit oder ein Trauma ausgelöst wurde. Dies ist zwar möglich, ist jedoch nur in selten der Fall, und gilt zudem nicht als wirkliche Asexualität im klassischen Sinne. Es gibt körperlich keinen Unterschied zwischen Aro/Aces und Allos. Nur wenn man komplett jede Intimität vermeidet, kann dies durch ein psychologisches Problem sein, da Intimität ei psychosoziales Grundbedürfnis ist.

Grey Asexuell / Grey Romantisch:

Sehr selten, sparodisch auftretende sexuelle / romantische Anziehung

Demisexuell / Demiromantisch

Eine starke emotionale Bindung zu einer Person muss bestehen, damit sich ein sexuelle / romantische Anziehung entwickeln kann, und dann nur zu der bestimmten Person

Allosexuell / Alloromantisch:

Das Gegenteil von Asexuell / Aromantic, eine Person die sexuelle / romantische Anziehung empfindet

Etwas, womit Aros häufig konfrontiert werden, ist der Vorwurf, keine Gefühle/Emotionen zu haben, bzw. keine Liebe empfinden zu können, doch romantische Liebe ist bei weitem nicht das ganze Spektrum der menschlichen Gefühle. Familiäre und platonische Liebe wird trotzdem empfunden, und die Priorisierung romantischer Liebe / Beziehungen gegenüber platonischen und familiären Bindungen kann es Aros erschweren, bedeutende, langfristige Beziehungen aufzubauen, die nicht auf romantischen Gefühlen basieren.

Wenn sie das dann aber doch tun, wird ihnen trotzdem nicht selten vorgeworfen, vereinsamt zu sein, da sie sich nicht in einer romantischen Beziehung befinden. Für Aros können Partnerschaften auch eine Herausforderung darstellen.

Es kann schnell Angst vor Ablehnung aufkommen, selbst nach erster Akzeptanz. Denn selbst, wenn es anfangs funktioniert, schwebt immer die Sorge im Raum, dass sich diese Meinung ändern könnte. Streitigkeiten, weil eine Partei mehr als die andere möchte sind oft die Folge, andere wiederum haben aber auch kein Problem, für Partner sexuell Intim zu werden, tun dies jedoch hauptsächlich, um ihre*n Partner*in glücklich zu machen und nicht, weil sie selbst das Bedürfnis nach sexueller Intimität haben.

Einige Beziehungen funktionieren ganz ohne Sex, auch wenn einer der beiden allosexuell ist. Dann gibt es wieder solche, für die eine offene Beziehung eine Lösung darstellt. Nachdem anfängliche Beziehungshürden überwunden sind und beide sich in der Beziehung sicher fühlen kann, das Thema Kinder schnell aufkommen. So wie bei allen Menschen gibt es auch unter Aros/Aces Leute, die sie wollen und solche, die es nicht tun. Asexuelle Paare nutzen zum Erfüllen des Kinderwunsches häufig die gleichen Methoden wie andere Paare auch. Hier wird dann häufig eine Ausnahme gemacht.

Wer neugierig geworden ist und mehr zum Thema Asexualität herausfinden möchte, wird im Internet fündig, queer-lexikon.net ist hier nur eine von vielen informativen Seiten. Für Menschen, die sich in diesem Artikel persönlich angesprochen fühlen und nach Beratung suchen, bietet die Organisation pro familia in Bremerhaven eben diese an.

sex-repulsed:

Der Gedanke an Sex ist abstoßend

sex-neutral:

Keine starken Gefühle in beide Richtungen

sex-positiv:

Bereitschaft, Sex auch ohne sexuelle Anziehung zu haben

Text & Illustrationen | Johanna Geils